Banner zum Lamm Gottes
Diesen August zeigt das Grand Curtius eine Prozessionsfahne, die zu den reichen Textilsammlungen der Abteilung für religiöse Kunst gehört. Das Banner stellt ein Agnus dei (Lamm Gottes) dar, welches sich in der christlichen Religion auf Jesus Christus bezieht, der als das Opfer dazu bestimmt ist die Sünden der Welt hinwegzunehmen.
Das Lamm ist mit grauen und silbernen Fäden auf ein burgunderrotes Tuch gestickt, das mit floralen Motiven verziert ist. Das Lamm weist hier alle ikonographischen Attribute auf, die mit der eucharistischen Figur in Verbindung gebracht werden; der Heiligenschein, der liturgische Stab und der Kelch, mit dem Blut des geopferten Lammes gefüllt - dessen leicht rosa Farbton zu beachten ist -, sind allesamt Verweise auf die heilige Erzählung.
Außerdem erinnert die Wunde im Brustkorb an die Mitteltafel des Genter Altar mit der Anbetung des Lammes der Brüder Van Eyck (1432), der derzeit im Museum voor Schone Kunsten in Gent restauriert wird.
Das Interesse eines solchen Objekts liegt nicht nur in seinem gegenständlichen Inhalt, sondern auch in der ihm innewohnenden Praxis. Mit anderen Worten, um dieses Prozessionsartefakt bestmöglich zu würdigen, müssen wir an die Schnittpunkte der sakralen und säkularen Sphäre gehen und es als ein nützliches Werk studieren, ein Bild, mit dem wir (inter)agieren. Auf diese Weise erhält die von den Laien in Bewegung gesetzte Sakrale Kunst - praktisch und theoretisch - rituelle Bedeutungen: Das Bild des Gotteslammes wird dann performativ.
Es geht also darum, dieses Banner des Agnus dei innerhalb einer Vielzahl von sozialen Beziehungen zu sehen, die durch seine primäre Berufung ins Spiel gebracht werden: den Akt der Prozession. Auf diese Weise wird die Gestalt des Lamm Gottes in gewisser Weise zu einem sozialen Bild, mit dem sich eine Gemeinschaft identifiziert, wenn dieses Textil an einem horizontalen Stock aufgehängt und an einer Stange durch die Straßen der Stadt getragen wird.
Dieses Banner, wie auch alle anderen ohne Datum versehenen Prozessionsgegenstände, die gewöhnlich von einem Jahr zum nächsten wiederverwendet werden, lassen sich kaum genau datieren. Es ist jedoch wahrscheinlich, dass das hier vorgestellte Artefakt aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts stammt.
Benjamin Monseur, Philosoph und Kunsthistoriker