Die kleine bemalte Tafel zeigt eine Szene der Legende des heiligen Bernhard. Diese ist im Milieu der Zisterzienser sehr beliebt, in welchem er für eine Reform sorgte. Es handelt sich hier um das Wunder von Châtillon-sur-Seine. Dabei hatte der Heilige die Jungfrau Maria angerufen und gesagt: „Zeig mir, dass du meine Mutter bist“. Diese ließ Milch aus ihrer Brust in den Mund des heiligen Bernhard fließen.
Die Jungfrau sitzt unter einem venezianischen Baldachin und hält das Kind sanft auf den Knien. Der heilige Bernhard trägt das Gewand der Zisterzienser und hält ein offenes Buch in der linken Hand – dabei handelt es sich zweifellos um die zisterziensischen Ordensregeln. In der rechten Hand hält er den Hirtenstab der Abtei mit einem Schweißtuch. Die Anrufung „Monstra te esse matrem“ ist ebenfalls zu finden. Die Figuren heben sich im Vordergrund von einer schönen Hügellandschaft ab, die – auf einer Erhebung – von einer gotischen Klosterkirche und Klostergebäuden beherrscht wird. Dort unterhalten sich zwei Gläubige. Wie bei den meisten Gemälden der flämischen Primitiven wird der obere Horizont von einem glänzenden Heiligenschein beleuchtet.
Dieses Wunder hat hier eine seiner poetischsten und raffiniertesten Interpretationen gefunden. Davon zeugt vor allem das personalisierte Gesicht – vielleicht ein Porträt – des heiligen Bernhard.
Albert Lemeunier