Die Stadt Leerdam ist zwar vor allem für ihren beliebten halbgaren Käse bekannt – sie sollte es aber auch für die Glaskunstwerke aus der Niederländischen Königlichen Glasfabrik sein.
Ab 1915 richtete sich die „N.V. Koninklijke Nederlandsche Glasfabriek Leerdam“ (gegründet 1765) eindeutig in Richtung einer modernen und innovativen Produktion aus, die von drei Architekten/Designern erdacht wurde: dem Niederländer Hendrik Petrus Berlage (bereits Schöpfer von Modellen für die französischen Kristallfabriken von Pantin und Baccarat), Karel Petrus Cornelis aus Basel und dem berühmten Amerikaner Frank Lloyd Wright. Mehr als 15 Jahre vor der Entstehung des skandinavischen Designs stellte die Manufaktur von Leerdam industriell Tafelservices mit klaren und funktionalen Formen her. Die Designer gestalteten auch künstlerische Werke, die mit Schwung geblasen und kunsthandwerklich geformt wurden.
Der aus Leerdam stammende Designer Floris Meydam (1919-2011) begann 1935 in der Glasmanufaktur als Mitarbeiter in der Abteilung für Design. 1949 wurde er deren Direktor. Bei der Weltausstellung von Brüssel 1958 erhielt der Pavillon von Leerdam den Großen Preis. Die drei ausgestellten Werke stammen aus dem gleichen Jahr und sind Teil der 1922 gestarteten Reihe „Unica“, die aus einer engen Zusammenarbeit zwischen dem Designer und dem Glaskünstler, welcher für das Blasen und Formen des Kristalls verantwortlich war, entstanden ist. Diese Unikate gehören zu den schönsten Werken des Künstlers. Er zeichnet mit klaren Linien Formen und verwendet verschiedene leuchtende Farbtöne. Die Soliflor-Vase mit eleganten Konturen wird durch den Einsatz eines leuchtenden Gelbtons hervorgehoben. In die längliche und leicht geschwungene Vase ist eine Masse aus weißem Glas eingelegt, um deren unteren Teil ein blaugrünes Band gewickelt ist. Das emaillierte Glas ist mit mehreren Schichten aus farblosem Kristall überzogen. Dieser sorgt für einen Lupeneffekt und macht das Stück massiv. Die beiden seitlichen Enden der Öffnung wurden von den „Hörnern“ am Kopf des Mantarochens inspiriert[1]. Das Gefäß mit der großen runden Öffnung verjüngt sich zur bauchigen Basis hin und bildet dabei ein kurviges Profil. Die Horizontalität des Behälters wird durch die Vertikalität des kegelförmigen Fußes wieder ausgeglichen. Im Fuß befindet sich eine Lufttasche in Form eines Cuberdons[2]. Im blauen Kristall der Schale sind Netze, Bänder und große wassergrüne Farbflächen eingelegt.
Jedes Stück trägt die mit einer Nadel gravierte Signatur „Leerdam Unica Fmeydam“ sowie die Buchstaben „MB“ gefolgt von einer Nummer. Diese Angaben entsprechen einem eigenen Kennzeichnungssystem der Glasfabrik. Die Buchstaben entsprechen dem Schöpfungs- und Produktionsdatum des Stückes – in diesem Fall 1958 – und die Zahlen geben die Seriennummern jedes Glases der Serie an. Also ist von den 1679 Stücken, die 1958 erzeugt wurden, die gelbe Vase die 440. Kreation, die Schale ist die 1013. und die Vase mit dem Einlege-Dekor die 1081.
Diese drei Werke sind eine Hommage an Floris Meydam, der 2011 verstarb. Sie unterstreichen die erstaunliche Modernität der Glaskunst der Niederlande.
[1] Der Mantarochen ist ein Fisch mit flachem Körper, welcher mit flügelförmigen Flossen ausgestattet ist. Er wird auch als „Teufelsrochen“ bezeichnet, weil sein Kopf zwei „Hörner“ trägt.
[2] Ein Cuberdon ist eine traditionelle belgische rosarote Süßigkeit in Kegelform. Sie wird aus Zucker und Akazienharz hergestellt und hat einen Himbeergeschmack.