Oranus-Pokal

Werk, das von der Fédération Wallonie-Bruxelles als Schatz klassifiziert wurde (23. November 2010).

Pokal mit Fuß aus Silber, gepunzt, ziseliert und graviert, teilweise vergoldet, mit den Punzen: Doppeladler ohne Jahr; GH oder HG als Monogramm; Buchstabe L; striche.

Wahrscheinlich schenkte der Fürstbischof Robert de Berghes (1557-1564) dem Ratsherrn François d’Heure, genannt „Oranus“ (1513-1569) das Stück. Dieser überließ es Arnold Hocht, dem Ehemann seiner Tochter Jeanne. Danach: Samml. Marie Hocht, Ehefrau von Sélys (1607). Samml. Sélys-Fanson (17.-20. Jahrhundert). Wurde dem Musée Curtius 1962 von dieser Familie hinterlassen.

Das Stück ist mit zahlreichen ineinandergreifenden Motiven ziseliert: Girlanden, Godronierungen, Blumen, Ranken, Blattwerk. In der flachen Schale sind zwölf kaiserliche Silbermünzen aus verschiedenen Herrschaften von Domitian (81-96 n. Chr.) bis Antoninus Pius (zwei Münzen, 138-161 n. Chr.) eingefasst. Die älteste Münze wurde 85 n. Chr. und die jüngste zwischen 152 und 156 n. Chr. geprägt. Auch zu finden sind die Bildnisse von Trajan (zwei Münzen), Hadrian (vier Münzen) und Faustina der Älteren, der Frau von Antoninus Pius (drei Münzen).  Die Auswahl dieser Geldstücke scheint kein Zufall zu sein, sondern zeigt im Gegenteil eine wohlüberlegte Auswahl aus den Sammlungen, die bei den Gelehrten dieser Zeit entstanden.  
In der Mitte der flachen Schale befinden sich Wappen, die vom Bischofshut des Fürstbischofs Robert de Berghes gekrönt werden. Der erste Besitzer des Pokals, der Ratsherr von Lüttich François d’Heure (genannt „Oranus“), war einer der privaten Berater des Fürstbischofs.

Die Schale ruht auf einem Balusterschaft, der mit vier Relief-Frauenköpfen verziert ist, sowie auf einem Sockel, der mit einem runden Fuß abschließt. Unter dem Fuß wurde das Wappen des Beraters des Ratsherrn von Lüttich, Arnold Hocht ( verstorben 1607), eingraviert.

Diese Goldschmiedearbeit, deren Prototyp die „tazza“ der italienischen Künstler ist, wurde Oranus zu einer Zeit geschenkt, als Münzsammlungen zunahmen und sich im Norden die Wissenschaft der Numismatik entwickelte – vor allem dank der Werke von Hubert Goltzius (1526-1583), einem Schüler von Lombard, der über seine Besuche bei den Sammlungen von Lambert Lombard, Liévin Torrentius, Carolus Langius und insbesondere – dies muss man unterstreichen – bei jener von Robert de Berghes berichtete.

Nach wie vor kennt man nicht den Namen des Lütticher Goldschmieds, der sich hinter den Initialen GH oder HG, welche ein Monogramm bilden, verbirgt. Keiner der für diesen Zeitraum bekannten Namen von Goldschmieden entspricht diesen beiden Buchstabenkombinationen.

Was das genaue Datum des Pokals betrifft, könnte der als Zahlenangabe dienende Buchstabe „L“ dieses angeben, aber die Interpretation der ältesten Alphabete – welche noch stark lückenhaft ist, was das Lütticher Goldschmiedehandwerk betrifft – ist noch nicht in der Lage, plausible Hypothesen zu liefern. Das wahrscheinliche Datum 1564 kann jedoch favorisiert werden. Dieses würde auch der Überlieferung Glaubwürdigkeit geben, dass der Fürstbischof den Pokal seinem treuen Mitarbeiter als Dankeschön schenkte oder – was wahrscheinlicher ist – dass diese Schenkung in seinem Namen bei seinem Rücktritt vom Bischofsamt am 14. April 1564 erfolgte. Er wurde, nachdem sich seine psychische Gesundheit verschlechtert hatte, zu diesem Schritt gebracht. Bereits Mitte 1561 hatten sich hier besorgniserregende Zeichen gezeigt.

Es ist interessant, die Oranus-„tazza“ mit einem anderen Lütticher Pokal mit noch mehr Tradition zu vergleichen. Dieser wurde dem Tribunal der Ratsherren von Lüttich 1577 von  Jean de Juncis geschenkt. Daran erinnert ein Terzett von D. Lampson, das unter diesem anderen Stück der Goldschmiedekunst der Renaissance eingraviert wurde.

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Das Dekret vom 11. Juli 2002 ermöglicht es, Güter, die für die Föderation Wallonien-Brüssel von bemerkenswertem Interesse sind, als Schatz zu klassifizieren. In diesem Rahmen werden mehrere Werke, deren künstlerische Qualität, Seltenheit oder Verbindungen zur Geschichte und Kunstgeschichte nicht mehr nachgewiesen werden müssen, durch diese Einstufung stärker aufgewertet. Diese Anerkennung ermöglicht es, diese Prunkstücke unseres Kunst- und Kulturerbes hervorzuheben, aber vor allem, sie besser zu schützen, bei der Restaurierung zu helfen oder zu verhindern, dass sie ins Ausland verkauft werden. Jedes Jahr werden mehrere bedeutende historische Werke als Schätze anerkannt.

Ein geschütztes Gut erhält den Status eines "Schatzes". Dieser Begriff hat seinen Ursprung im europäischen Recht, das jedem Mitgliedstaat die Möglichkeit bietet, seine "nationalen Schätze von künstlerischem, historischem oder archäologischem Wert" zu schützen. Diese Schätze entziehen sich daher dem Grundsatz des freien Warenverkehrs innerhalb der Europäischen Union und können Beschränkungen oder Verbote für die Verbringung aus dem betreffenden nationalen Hoheitsgebiet auferlegt werden.

Weitere Informationen auf der Website der Fédération Wallonie-Bruxelles.

 

Auteur
Maître orfèvre GH ou HG en monogramme
Année d'exécution
1564, legs de Sélys-Fanson au Musée Curtius (1962)
Lieu
Liège
Dimensions
Ha. : 11,2 cm diam.: 16,8 cm