Diese Skulptur stammt aus Évegnée am Tor zum Herver Land, wenige Kilometer vom Norden Lüttichs entfernt.
Die Gruppe der Jungfrau mit Kind folgt einer symmetrischen Komposition, die dem Gesetz der Frontalität unterliegt, während die Reliefs auf ihren einfachsten Ausdruck reduziert sind. Man möchte es fast mit einer Art Götzenbild vergleichen.
Die Jungfrau scheint mit dem Sitz, auf welchem sie ruht, verbunden zu sein und erscheint selbst als Sitz für das Kind. Ihre rechte Hand hält einen Apfel, die linke Hand umschließt einen der Pfosten des Sitzes. Das Kind segnet mit der rechten Hand an die Brust gedrückt. Die linke Hand hält ein Buch.
Das Werk kann als eine der ältesten „Sedes sapientiae“ aus dem Maasland betrachtet werden. Die Ikonografie zeigt die Jungfrau als „Sitz der Weisheit“ (Christus ist die menschgewordene Weisheit), mit Bezug auf Salomons Thron aus dem Alten Testament: Salomon ist bekannt dafür, ein Urteil legendärer Weisheit gefällt zu haben. Aber gleichzeitig macht der Apfel, den die Mutter des Erlösers in der Hand hält, sie auch zu einer "neuen Eva“ – obwohl durch sie die Erlösung von der Erbschuld erfolgte.
Die Skulptur wurde unten um etwa ein Fünftel ihrer ursprünglichen Höhe gekürzt.
Ihr archaischer Stil macht sie zu einem Kunstwerk, das auf den ersten Blick etwas rustikal wirkt. Man kann sie jedoch mit den Gesichtern der Figuren an den Türen der Kirche St. Maria im Kapitol in Köln um 1050 vergleichen.
Albert Lemeunier