Diese Tablette für Augentropfen in Form eines rechteckigen Parallelepipeds wurde Anfang Juli 1883 an einem Ort namens „Campagne de Stelhain“ in Walshoutem (Houtain-l’Évêque) gefunden. Das zufällig von einem Bauern entdeckte Objekt wurde durch das Archäologische Institut Lüttich erworben und im Archäologischen Museum (Curtius) deponiert.
Die Seiten des Stücks sind mit Legenden in rückwärts laufenden Buchstaben graviert, die auf zwei Linien verteilt sind. Gravierte Linien, die als Markierungen für den Graveur dienten, umrahmen die Beschriftungen über die gesamte Länge.
a) TITI CROCODES AD AS
PRITVDINEM ET SYCOSIS
b) TITI CROCOD
AD ASPR ET SYCO
c) TITI BASILIVM AD CLA
RITATEM OPOBALSAM
d) TITI BASILIVM AD
CLARIT OPOB
Die Legenden, die an den kurzen Seiten zu sehen sind, sind eine abgekürzte Version jener, die an den langen Seiten eingraviert sind. Sie führen den Namen des Arztes im Genitiv sowie den Namen der Augentropfen und die Namen der zu behandelnden Augenerkrankungen an. So verschrieb der Augenarzt TITVS Medikamente auf Safranbasis (Crocodes) oder von gelber Farbe, die an dieses Gewürz erinnerte, um Granulome der Augenlider zu behandeln. Zudem verschrieb er Heilmittel auf der Basis von Balsamsaft (Opobalsamatum), um den Blick zu klären.
Die Inhaltsstoffe, die in den Augentropfen verwendet wurden, wurden auf einer Steintafel vermahlen und mit Wasser oder flüssigem Gummi vermischt. Die so erhaltene Paste wurde zu kleinen Stücken geformt, die vor dem Trocknen den Abdruck der Tablette erhielten. Diese Zubereitungen auf der Basis von Pflanzen, tierischen Stoffen (Horn) oder Metallen wie Kupfer, Eisen, Blei oder Zink wurden mit einem Hilfsstoff – Wasser oder Ei – verdünnt, bevor sie auf das Auge aufgetragen wurden.
Die Entdeckung antiker Augentropfen ist besonders selten und außergewöhnlich. In Lyon wurden beispielsweise 1985 in Grab 72 zwanzig Augentropfen in einer Bronzebox entdeckt, die vom Ende des 2. Jahrhunderts n. Chr. stammten sowie aus der Nekropole der la Favorite. Ergänzt wurden sie durch ein Tablett zum Zerkleinern aus Stein und ein zylinderförmiges Etui aus Bronze, das drei Augenarztinstrumente enthielt.
Bis heute wurden im Römischen Reich – im Wesentlichen in Gallien – 346 Tabletten für Augentropfen oder Tabletten von Augenärzten verzeichnet. Ihre Untersuchung stellt eine wertvolle Quelle des Wissens über die Arzneimittel der gallorömischen Augenärzte dar, welche für Kataraktoperationen bekannt waren.