Joseph-Gabriel Rousseau gehört zu jenen Künstlern, die die Glaskunsttechniken Ende des 19. Jahrhunderts erneuerten, indem sie den Herstellungsprozess der Glaspaste, welcher bereits in der Antike von den Ägyptern angewendet worden war, neu erfanden.
Seit seiner Jugend begeisterte er sich für Design und fertigte Skizzen im impressionistischen Stil in seiner heimatlichen ländlichen Umgebung an. Auch im Bereich der Naturwissenschaften tat er sich hervor – genauer gesagt in der Physik und der Chemie. Im Jahr 1902 ermöglichte es ihm seine Aufnahme an der Ecole Nationale de Céramique de Sèvres im Alter von 17 Jahren, seine beiden Leidenschaften zu vereinen.
Vier Jahre später erhielt er sein Diplom als Ingenieur und begann seine Forschungen zum Erhalt von Glaspaste. Er eröffnete sein eigenes Atelier in Paris und seine ersten Werke wurden beim Salon des Artistes français 1914 ausgestellt. Sie sind mit G. Argy-Rousseau signiert. Er hatte nämlich ein Jahr zuvor beschlossen, seinem Namen die ersten vier Buchstaben des Namens seiner Frau Marianne Argyriadès voranzustellen. Sofort nach Ende des Ersten Weltkriegs nahm er seine Tätigkeit als Glaskünstler wieder auf. Ende 1921 tat er sich mit dem Galeristen Gustave Moser-Millot zusammen, um die Gesellschaft „Ls pâtes de verre d'Argy-Rousseau“ („Glaspasten von Argy-Rousseau“) im 18. Arrondissement von Paris zu gründen. Diese Gesellschaft, die etwa fünfzig Personen beschäftigte, floriert bis 1929 – jenem Jahr, das von der großen Weltwirtschaftskrise geprägt war. 1931 musste sie schließen.
Das Dekor der 1920 erstellten Vase „Araignées et Ronces“ („Spinnen und Ranken“) ist noch im Jugendstil gehalten. Auf der 1922 entstandenen hohen Vase ist das Blumendekor jedoch eingerahmt und bildet einen Zierstreifen. Diese geometrische Anordnung zeigt, dass der Künstler beginnt, sich am Art déco-Stil zu orientieren, welcher zu dieser Zeit im Trend war. Mit der Vase „Scarabées“ („Skarabäen“), die 1923 geschaffen wurde, fügt sich Argy-Rousseau in diese neue Strömung ein: drei Reihen mit Halbkreisen ergänzen sich mit drei Cabochons in Form von Skarabäen. Letztere hatten einen heiligen Charakter, der mit dem Sonnenkult im Alten Ägypten verbunden ist. Der Glaskünstler verband hier so in einem Werk mehrere stilistische oder thematische Einflüsse. Beachten wir die Besonderheiten der Glaspaste: die Beschaffenheit des Materials, die Lichtdurchlässigkeit oder Undurchsichtigkeit sowie die Farben in gedeckten Tönen. Zu Beginn werden die farbigen Metalloxid-Pulver – welche aus dem Zerkleinern einer Glas- oder Kristallmasse gewonnen werden – mit einem Bindemittel vermischt, um eine formbare Masse zu erhalten. Diese wird dann auf die Wände einer Form aus Schamotte, welche auf Grundlage des Modells, das der Glaskünstler erhalten möchte, erstellt wurde, aufgebracht. Nach dem Brennen bei 1000 bis 1200 °C ist die Verschmelzung zu Glas abgeschlossen und die Form wird vorsichtig zerbrochen (für Einzelstücke) oder wiederverwendet (für sehr eingeschränkte Serienproduktionen).
„Der Prozess der Glaspaste ist sicherlich der künstlerischste und persönlichste aller Arbeitsprozesse rund um Glas und Kristall. Er ermöglicht es dem Künstler, all seine Ideen einfach umzusetzen.“ Dieses Zitat von Argy-Rousseau zeigt, wie sehr die Technik, die er dank seiner wissenschaftlichen Fähigkeiten als Ingenieur entwickelt hatte, mit dem Prozess des Schöpfens eines individuellen Kunstwerks verbunden ist. In dieser geforderten Ausdrucksfreiheit kann man einen Vorgeschmack auf die internationale Studioglasbewegung („Studio Glass Movement“) erkennen. Diese wurde zu Beginn der 1970-Jahre in den Vereinigten Staaten vom amerikanischen Glaskünstler Harvey K. Littleton begründet.